Aber bei alldem bestimmte ein Geben und Nehmen das Denken und Handeln, eine Verbundenheit mit der eigenen Stadt und den Bürgern. Leider  findet diese Philosophie aber seit Jahren weniger Widerhall. Wie das schon in anderen Beiträgen hier nachzulesen war, verstärkt sich seit 1990 der Trend, dass aufgrund der nachlassenden Kaufkraft Einzelhandelsgeschäfte kaum noch eine Überlebensmöglichkeit haben. Nur spezielle Dienstleistungen scheinen weiter existieren zu können. Aber auch die sind in der diesjährigen Vorweihnachtszeit bereits eingeschränkt.

Durch die Kürzungen und Beschränkungen, die Gewerbetreibende in der CORONA-Pandemie hinnehmen müssen, profitieren nur die wuchernden Versandhandelsfirmen. Ihnen werden Milliarden Zuwachsgewinne vorausgesagt. Aber liebe Bürger und liebe Kunden, was ist uns z.B. der Versandhausriese „AMAZON“ wert?  Haben wir wirklich viel gewonnen, wenn wir bequem von zu Hause aus mit einem Klick bestellen und bekommen mit der Post das Gewünschte? Die Firma Amazon interessiert sich nicht im Geringsten für unsere Stadt. Sie beteiligt sich weder an der weihnachtlichen Ausschmückung, noch an der Gestaltung eines Weihnachtsmarktes. Sie spendet nichts für ein Schulprojekt, oder für ein Oldtimertreffen, für die Organisation einer Sportveranstaltung bei uns oder für anderes. Von einem Geben und Nehmen finden wir bei Amazon keine Spur.

Was wäre, liebe Bürger und liebe Gäste unserer Stadt, wenn auch die letzten Geschäfte, die letzten Gasthäuser und Dienstleister ihre Tore und Türen schließen würden und nur noch AMAZON und Co. übrig blieben?  Könnte das für unser Stadtleben zufriedenstellend sein? Wir wären sozusagen dann nur noch Wohnstadt, unsere Innenstadt verödet.  Amazon zahlt keine Gewerbesteuern in Stolpen. Diese Firma und andere sind außerdem die größten Verursacher von Verpackungsmüll und der Vernichtung unverkaufter Waren. Besonders junge Menschen sollten sich bewusst werden, dass das allein schon ein Grund sein sollte, nach anderen Formen des Einkaufes zu suchen.

Schon in vergangenen Jahrhunderten  machten sich Menschen Gedanken, wie man globalen Entwicklungen begegnen und das örtliche und regionale Kulturleben schützen kann. Die Gründung von Genossenschaften war so eine Idee, oder die vom Leipziger Daniel Gottlob Schreber (1808-1861) ins Leben gerufene Kleingartenkultur. Heute  ist besonders in manchen ländlichen Regionen die Bewegung Slowfoot ein Ansatz, der eine Möglichkeit schafft, mit regionalen und örtlichen Produkten wieder mehr Menschen für die engere Heimat, für das Naheliegende, für das Traditionelle mit der eigenen Umgebung verbundene zu interessieren und zusammenzuführen. Wenn wir nun in den bevorstehenden Weihnachtsfeiertagen weitgehend isoliert und eingeschränkt sind, so kann uns vielleicht auch eine alte stoische Denkweise aus der Philosophie des antiken Griechenlandes helfen, wo Horatius in seiner Ode schrieb: „Denk stets in schweren Zeiten den Gleichmut dir zu wahren, wie in guten ein Herz, das klug die übermütige Freude meistert.“  

Vielleicht zaubert ja die diesjährige ruhige CORONA-Zeit Ideen hervor, die uns weiterbringen?

Dr. Bernd Müller-Kaller     

 

 

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